Bürgerstiftungen

Viele für viele: Der Titel des BVR-Engagementberichts könnte auch ein Motto für Bürgerstiftungen sein. Denn: Auch hier gibt es nicht den einzelnen mächtigen Stifter, sondern eine Vielzahl von Unterstützern. Anders als bei klassischen Stiftungen sammeln Bürgerstiftungen ihr Stiftungskapital von vielen einzelnen Zustiftern ein. Bürger treten hierbei für Bürger ein, stiften das, was sie zustiften können, und schaffen so gemeinsam einen Mehrwert, von dem die Regionen nachhaltig profitieren. Bürgerstiftungen sind Stiftungen zum Mitmachen – für Einzelpersonen, aber auch für Unternehmen.

Die Organisationsstruktur von Bürgerstiftungen passt so gut zum genossenschaftlichen Modell, dass es auch hier wenig verwunderlich ist, dass viele Genossenschaftsbanken schon sehr früh damit begonnen haben, Bürgerstiftungen zu gründen und zu fördern. Mittlerweile betreiben viele sie bereits seit über 15 Jahren.

Von den insgesamt 410 Bürgerstiftungen in Deutschland werden 352 von Genossenschaftsbanken, Unternehmen und Verbänden der genossenschaftlichen FinanzGruppe unterstützt. Die Engagementquote liegt bei 86 Prozent. Das heißt: Mehr als vier von fünf Bürgerstiftungen pro tieren vom Engagement ihrer örtlichen Genossenschaftsbank. Kreditgenossenschaften sind Gründungsstifter bei 220 Bürgerstiftungen, also bei mehr als der Hälfte aller Bürgerstiftungen in Deutschland.

Über dieses Engagement hinaus unterstützen sie Projekte in unterschiedlichen Feldern, etwa für die Integration von Zuwanderern, die Verbesserung der Arbeitsmarktchancen von Jugendlichen, die Förderung von Lernen und Bildung und vieles andere mehr.

So auch die Volksbank eG, Waltrop (Seite 88), mit ihrer Bürgerstiftung EmscherLippe-Land, die es sich zum Ziel gesetzt hat, das soziale Engagement und den Gemeinschaftssinn der Bürger zu fördern, und dabei ihren Schwerpunkt auf die Jugendarbeit legt. Insgesamt zehn Partnerstiftungen engagieren sich dort bereits mit unterschiedlichen Förderschwerpunkten für die Belange ihrer Region.

Ebenso eindrucksvoll wirkt die Bürgerstiftung Biberach (Seite 94) in ihre Region hinein. Bereits 2005 wurde sie auf Initiative der Volksbank Biberach gegründet. Seither agiert sie als Dachstiftung für andere und führt zugleich seit Jahren auch erfolgreich eigene Projekte durch.

„Wir pflanzen etwas ein, das wächst, starke Wurzeln bekommt und Früchte trägt.“

Die Volksbank eG, Waltrop, hat eine Bürgerstiftung gegründet, um nachhaltig Projekte in der Region fördern zu können. Im Interview erläutert Vorstandssprecher Ludger Suttmeyer, wie das funktioniert, und spricht über Motive, Erfahrungen, Strukturen. Unter dem Dach der Stiftung sind mittlerweile zehn Partnerstiftungen angesiedelt. Hedwig Schreckenberg und Alexander Zeretzke erzählen, warum sie sich dafür entschieden haben, ihr soziales Engagement in dieser Form auszuüben, und wie bereichernd dies für sie persönlich und insbesondere für die Empfänger der Hilfe ist.

Herr Suttmeyer, was bedeutet Engagement für Sie?

Ludger Suttmeyer: Die Weisheit, dass Ruhe die erste Bürgerpflicht ist, würde ich abwandeln. Für mich gehört das Engagement in diesen Rang: Jeder ist verpflichtet, sich für die Gesellschaft einzusetzen. Ich bin stolz darauf, bei einer Bank zu arbeiten, die im Genossenschaftsrecht verankert ist. Schon der Urvater der Genossenschaftsbanken, Friedrich Wilhelm Raiffeisen, hat gesagt: Viele schaffen gemeinsam mehr. Mit diesem Grundgedanken kann man wirklich viel bewirken.

Wie setzen Sie das im Alltag um?

Suttmeyer: Als sich unsere Bürgerstiftung gründete, spielte – wie so häufig im Leben – auch der Zufall eine Rolle. Als ich im Jahr 2003 zur Volksbank Waltrop kam, habe ich meine Erfahrungen von meinem früheren Arbeitgeber in die gerade von meinem Vorstandskollegen initiierte Diskussion eingebracht. Wir haben darauf aufbauend mit Hilfe der Aktiven Bürgerschaft, deren Schirmherr ja der BVR ist, im Jahr 2005 die Bürgerstiftung EmscherLippe-Land aus der Taufe gehoben. Die Unterstützung war sehr wichtig, weil Stiftungen rechtlich ja erst einmal nicht einfach sind. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der fünf Städte in unserem Geschäftsgebiet – Waltrop, Castrop-Rauxel, Datteln, Lünen und Oer-Erkenschwick – haben wir dadurch verstärkt, indem wir aus diesen Gebieten jeweils zwei Menschen angesprochen haben, die im Vorstand oder im Stiftungskuratorium aktiv sind.

Sie haben mittlerweile zehn Partnerstiftungen. Wie kam es dazu?

Suttmeyer: Der Stiftungszweck in unserer Satzung ist zwar sehr breit, wir waren uns aber immer klar darüber, dass wir ihn nie alleine erfüllen können. Gleichzeitig wussten wir, dass es eine Vielzahl von anderen Engagierten gibt, die sich einen ganz speziellen Förderzweck vorstellen können. Wir haben deswegen schon ganz zu Beginn das Instrument der Partnerstiftungen eingeführt, die jeder gründen kann: Privatleute, Unternehmer oder auch Gemeinschaften. Bereits Ende Dezember 2005 hat sich mit der Carl Beermann Stiftung die erste Partnerstiftung gegründet.

Frau Schreckenberg, Sie führen eine dieser Partnerstiftungen, die Willi & Heti Schreckenberg Stiftung. Warum engagieren Sie sich auf diese Weise?

Heti Schreckenberg: Das ist eine lange Geschichte (lacht). Ich bin Anästhesieschwester und habe über die Rotarier Lüdinghausen eine Initiative für Peru kennengelernt. Es ging darum, Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten zu operieren. Wir sind in unserem Urlaub im Jahr 2003 mit vier Ärzten und drei Krankenschwestern für zehn Tage nach Pisco in Peru gereist und haben Medikamente und Geräte mitgenommen, die wir entweder gekauft haben oder über Spenden finanzieren konnten. Dort haben wir 70 bis 80 Kinder aus der ganzen Region – auch viele hoch aus den Anden – operiert. Die meisten der kleinen Patienten konnten am nächsten Tag nach Hause gehen. Dieses Gefühl, etwas beizutragen, um die Not dieser Menschen zu verringern, war überwältigend. Die Kinder konnten danach wieder sprechen, essen und wurden nicht mehr versteckt.

Warum haben Sie dann eine Stiftung gegründet?

Schreckenberg: Mein Mann ist beim ersten Mal mitgekommen, er wollte mich nicht alleine lassen. Er hat das Elend gesehen und war wie ich sehr nachdenklich geworden. Nach diesem Einsatz – es folgten noch sechs weitere – standen wir bei uns im Wohnzimmer, schauten nach draußen und haben darüber gesprochen. Dabei stellten wir fest, dass es uns sehr gut geht und wir doch teilen könnten mit denen, die wenig haben. Und so entstand die Idee einer Stiftung. Mein Mann erkrankte und starb bald darauf, sodass ich unseren Traum der Stiftung alleine verwirklichte.

Wie kamen Sie auf die Idee, eine Partnerstiftung zu gründen?

Schreckenberg: Ich hatte 2008 von dem Konzept gehört und bin dann einfach zur Bank gegangen. Ich merkte die Aufbruchstimmung und habe mich mitreißen lassen. Als ich aus Waltrop herausfuhr, war ich so begeistert, dass ich glatt zu schnell gefahren bin und ein Strafmandat über 10 Euro bekommen habe.

Suttmeyer: Für die Partnerstiftungen ist die Gründung eigentlich recht einfach. Alle Formalitäten regelt die Bürgerstiftung. Wir übernehmen die Verwaltungsarbeit, helfen bei den Finanzen, dem Rechenschaftsbericht und bei der Buchhaltung. Für die erfolgreiche Begleitung von mittlerweile zehn Partnerstiftungen, die insgesamt ein Stiftungsvermögen von 1,1 Millionen Euro halten, arbeiten Menschen auf 1,5 Stellen in der Bank.

Apropos Geld: Wie finanzieren sich die Stiftungen?

Suttmeyer: Unsere Bürgerstiftung muss man sich vorstellen wie ein großes Sparbuch. Wir haben am Anfang 50.000 Euro eingelegt. Jeder kann zustiften, sodass aus den Erträgen Projekte umgesetzt werden können. Mittlerweile haben wir ein Stiftungsvermögen von 933.000 Euro. Jeder, der mehr als 1.000 Euro gibt, wird zudem Stiftungspate – und für ihn wird in einem Kindergarten ein Obstbaum gepflanzt. Die Aktion verstehen wir auch als Symbol: Wir pflanzen etwas ein, das wächst, sich verfestigt, starke Wurzeln bekommt und Früchte trägt. Und genauso arbeitet unsere Bürgerstiftung in der Emscher-Lippe-Region.

Wie kommen Sie in Zeiten des Niedrigzinses auf Ihre operativen Mittel?

Suttmeyer: Es kommt oft vor, dass uns Menschen an besonderen Tagen wie Jubiläen, Geburtstagen oder auch Trauerfeiern bedenken. Wir haben aber auch dauerhafte Projekte wie unseren Adventskalender, von dem wir 5.000 Stück pro Jahr verkaufen. In den Kalendern sind 330 Gewinne versteckt, zum Beispiel Smartphones, Tablets, Reisen oder auch Theatergutscheine. Damit kommen wir auf einen Reinertrag von rund 15.000 Euro, den wir im ersten Quartal des Folgejahres dann an gemeinnützige Einrichtungen geben. Wir haben mit dieser und vielen anderen Aktionen sowie mit den Kapitalerträgen schon 480 Projekte mit rund 440.000 Euro gefördert.

Herr Zeretzke, auch Sie haben eine Partnerstiftung, die Zeretzke Stiftung, gegründet. Warum engagieren Sie sich?

Alexander Zeretzke: Wir führen ein privates Busunternehmen, mit dem wir für kommunale Verkehrsbetriebe fahren, aber auch den Schüler- oder Behindertenverkehr übernehmen. Unser Geld verdienen wir also auch mit den Schwächsten der Gesellschaft – und deswegen haben wir uns immer schon engagiert. Wir haben für kirchliche oder karitative Träger gespendet oder auch Fahrten zum Selbstkostenpreis angeboten.

Wie kam es zur Gründung der Zeretzke Stiftung?

Zeretzke: Das geht auf meinen Vater zurück, der immer Lotto gespielt hat. Er versprach, wenn er einmal einen großen Gewinn hätte, würde er eine Stiftung gründen.

Im Jahr 2012 war das erfolgreichste Jahr der Firmengeschichte – und da sagte mein Vater, dass das vielleicht der Lottogewinn ist. Als Unternehmer haben wir für so ein Engagement aber keine Zeit, wir haben 300 Angestellte und 150 Fahrzeuge. Auch juristisch kennen wir uns nicht aus und deswegen haben wir uns kompetente Partner gesucht. Mit der Volksbank in Waltrop arbeiten wir seit Jahrzehnten vertrauensvoll zusammen, da wussten wir, dass es passen würde.

Der Anlass für die Zeretzke Stiftung war also vor allem, das Geld für gute Zwecke einsetzen zu können?

Zeretzke: Ja, wir wollten aber auch eine Langfristigkeit erreichen. Es könnte ja sein, dass einmal Generationen kommen, die das nicht so sehen wie wir. Und denen wollten wir das Geld schon jetzt entziehen, damit es auf jeden Fall für etwas Gutes angelegt wird. Wir leben das Engagement zwar so vor und hoffen, dass unsere Kinder und Enkel das auch so sehen, aber durch die Stiftung ist das bestehende Vermögen auf jeden Fall für immer abgesichert.

Frau Schreckenberg, gibt es Ihr Projekt in Peru auch noch heute?

Schreckenberg: Leider nicht mehr. Die Ärzte sind genauso wie ich älter geworden. Aber da ein Teil der Stiftungsmittel immer für Peru gedacht ist, habe ich etwas Neues dort gesucht und gefunden. Es ist ein Kinderdorf hoch in den Anden, dort leben 80 junge Menschen, die Waisen sind oder misshandelt wurden. Sie können von der Geburt bis zum 18. Geburtstag dort bleiben und auch zur Schule gehen. Die Stiftung finanziert zwei peruanische Lehrer – dafür reichen 200 Euro im Monat. Der beste Weg aus der Armut ist der Schulweg.

Waren Sie selbst einmal dort?

Schreckenberg: Ja, ich wollte sehen, wo das Geld hingeht. Ich habe die Lehrer kennengelernt und gesehen, dass die Kinder genauso Blödsinn im Unterricht machen wie bei uns. Sie sahen sehr glücklich aus. Die Stiftung engagiert sich auch hier in unserer Region. Seit 2010 unterstützen wir zum Beispiel die Kinderschutzambulanz in Datteln, die nur durch Spenden finanziert wird. Dort übernehmen wir die Kosten für die Teilzeitsekretärin. Kinder sind das schwächste Glied in unserer Kette.

Wo kommt das Geld für diese Projekte her?

Schreckenberg: Neben den Erträgen der Stiftung engagiere ich mich selbst, indem ich zum Beispiel eine amerikanische Versteigerung organisiere, bei der ich Adventskränze unter die Menschen bringe, die Freunde und ich gebastelt haben.

Herr Zeretzke, welche Projekte unterstützen Sie?

Zeretzke: Unser Stiftungszweck ist weit gefasst, aber wir haben vor allem benachteiligte Kinder und Jugendliche im Fokus: Auch sie werden die Welt gestalten und dabei wollen wir ihnen ein wenig helfen. Wir finanzieren zum Beispiel regelmäßig die Kinderküche in der örtlichen Gemeinde mit, in der Ehrenämtler Kindern bei den Hausaufgaben helfen und für Mittagessen sorgen. Außerdem helfen wir dem Frauenhaus in der Stadt. Wir fahren die Gruppe regelmäßig zum Beispiel kostenlos ins Phantasialand. Wenn Geld über ist, unterstützen wir auch ganz unterschiedlich, etwa mit einem Satz Bälle für die Fußball-Jugendmannschaft im Nachbarstadtteil.

Finden Sie, dass sich genug Menschen engagieren?

Zeretzke: Es gibt viele, die etwas machen wollen – und das müssten wir ihnen viel stärker erleichtern. Manche, so wie wir auch, wollen sich nicht so sehr in den Fokus stellen, da müssten mehr Möglichkeiten bestehen. Die Bürgerstiftung ist dabei ein sehr gutes Werkzeug: Wenn die Leute wüssten, wie einfach das mit der richtigen Unterstützung ist, würden wir viel mehr Engagement sehen.

Volksbank eG, Waltrop
Bilanzsumme910 Millionen Euro
Kunden54.134
Mitglieder34.477
Geschäftsstellen14
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter175
Stand 31.12.2018

Bild 1

Ludger Suttmeyer: „Die Weisheit, dass Ruhe die erste Bürgerpflicht ist, würde ich abwandeln. Für mich gehört das Engagement in diesen Rang.“ (Foto: Thorsten Arendt)

Bild 2

Heti Schreckenberg: „Der beste Weg aus der Armut ist der Schulweg.“ (Foto: Thorsten Arendt)

Bild 3

Alexander Zeretzke: „Unser Geld verdienen wir auch mit den Schwächsten der Gesellschaft – und deswegen haben wir uns immer schon engagiert.“ (Foto: Thorsten Arendt)

Bild 4

„Wir im Revier“ lautet das verbindende Motto der Bürgerstiftung EmscherLippe-Land. (Foto: Thorsten Arendt)

Wurzeln, die wirken

Vor knapp 15 Jahren initiierte die Volksbank Biberach die Gründung der Bürgerstiftung Biberach. Dort sollte es vor allem um die Förderung von Gemeinschaft, Zusammenhalt und Miteinander gehen. Im Alltag. Im Sport. In der Kultur. In der Natur. Fast schon von Anfang an setzt sich die Stiftung dabei für die Unterstützung und Bewirtschaftung einer eigens erworbenen Streuobstwiese ein. Sie führt Aktionen durch, fördert Projekte, schafft neue Lebens- und Erfahrungsräume für Kinder und Jugendliche. Ein Blick ins „Grüne Klassenzimmer“ zeigt schnell, welche reifen Früchte das Engagement hier hervorbringt. Das macht Geschmack auf mehr.

Es dauert genau zwei Minuten – dann schwärmen die Kinder aus. Zwei Mädchen rennen vom Bulli in Richtung des kleinen Schuppens, in dem der Rasenmäher steht. Drei Jungs spazieren langsam, aber zielstrebig zum Teich. Einer trägt die Kiste mit der Imker-Kleidung Richtung Bienenstöcke. Ein weiterer zeigt auf das Gemüsebeet im hinteren Teil des Geländes und schreit: „Das müssen wir heute umgraben!“

Lernen, toben, durchpusten

Lukas Krug schaut sich das Ganze an und lächelt. Er ist es gewohnt, dass die Kinder direkt loslegen. „Die haben alle richtig Lust, sich hier zu betätigen – und wenn sie mal Pause machen wollen, können sie das ebenfalls tun“, sagt der Lehrer der Mali-Gemeinschaftsschule aus Biberach, die hier, auf der weitläufigen Streuobstwiese, seit elf Jahren eine Arbeitsgemeinschaft im Rahmen des Ganztagsunterrichts für 10 bis 15 Kinder anbietet. „Wir machen wirklich super Erfahrungen“, sagt der Chemie-, Mathematik- und Technik-Lehrer, der die AG seit drei Jahren leitet. „Die Kinder lernen etwas über die Natur, toben sich aus, sind an der frischen Luft und helfen, dass die Wiese bewirtschaftet werden kann.“ Außerdem entsteht so eine starke Gemeinschaft, was für die Kinder, die alle nicht in Deutschland geboren sind, ebenfalls sehr wichtig ist.

„Ich könnte mir vorstellen, später selbst mal Imker zu werden und in meinem Garten auch Kartoffeln und Erdbeeren anzupflanzen.“Kadeer
Pflügen, ernten, mähen

„Viele von ihnen kennen es von zu Hause nicht, dass man im Garten arbeiten kann – das können sie hier erfahren und damit auch ihren Horizont erweitern.“ Kadeer zum Beispiel kümmert sich heute gemeinsam mit seinem Lehrer um die Bienen. Der Zwölfjährige, der vor zwei Jahren mit seinen Eltern aus Afghanistan nach Deutschland gekommen ist, erzählt in fast perfektem Deutsch, wie viel Spaß ihm die

Arbeit im Freien macht. „Ich könnte mir vorstellen, später selbst mal Imker zu werden und in meinem Garten auch Kartoffeln und Erdbeeren anzupflanzen.“ Auch Laurentiu, elf Jahre alt, packt überall mit an, wo es passt. Er pflügt zum Beispiel das Beet mit um, damit in der kommenden Woche auch Gemüse angepflanzt werden kann: „Radieschen oder Kartoffeln, die mag ich gerne!“ Und Hedi, ein Mädchen aus Syrien, verteidigt den Rasenmäher gegen die Jungs. „Das ist total toll, weil man so gut sehen kann, was man getan hat.“

Stiftungsarbeit mit Tradition

Das „Klassenzimmer im Grünen“, so heißt das Projekt, wird von der Bürgerstiftung Biberach finanziert und begleitet, die wiederum im Jahr 2005 auf Initiative der Volksbank Biberach gegründet wurde. Die Stiftung startete übrigens mit einer ersten Hürde: „Wir wollten uns damals für die Bevölkerung und die Region engagieren und merkten, dass einige Bürger in der Stadt dieselbe Idee hatten“, sagt Gisela Eggensberger. Das Ganze ging aber gut aus, erklärt die Leiterin des Vorstandsreferats der Volksbank Ulm-Biberach und Vorsitzende des Stiftungsvorstandes. „Wir haben uns einfach zusammengetan, was unsere Stiftung nur stärker gemacht hat.“

Die Bank verdoppelte in der Anfangsphase die Einlage eines jeden Privatstifters, bis insgesamt 200.000 Euro erreicht waren. Heute liegt das Stiftungsvermögen bei 1,3 Millionen Euro – und die Bank hat in jedem Jahr zwischen 20.000 und 25.000 Euro zugestiftet. Außerdem stellt sie die gesamte Infrastruktur und Organisation zur Verfügung. „Wir empfinden das Modell als so erfolgreich, dass wir im Jahr 2009 noch eine eigene Volksbank-Stiftung Ulm-Biberach ins Leben gerufen haben, unter deren Dach weitere Unter- und Treuhandstiftungen sowie Stiftungsfonds gegründet werden können.“

Vielfältige Förderstruktur

Jedes Jahr fördert die Bürgerstiftung unterschiedliche soziale, kulturelle oder sportliche Initiativen und Projekte, wie zum Beispiel das Evangelische Jugendwerk, den Kinderschutzbund, Kindergärten und Schulen oder das Netzwerk Burnout und Depression.

„Wir empfinden das Modell als so erfolgreich, dass wir noch eine eigene Volksbank-Stiftung Ulm-Biberach ins Leben gerufen haben.“Gisela Eggensberger

Über sämtliche Förderungen entscheidet der Stiftungsrat, den Eva-Maria Dünkel leitet. Eines der wenigen dauerhaft unterstützten Projekte ist die Streuobstwiese, die aus einer Idee der promovierten Biologin entstand. Sie hatte sich schon länger für die aussterbenden Biotope interessiert, die für die Biodiversität, aber auch für das Klima so wichtig sind. „Mir war aber nicht klar, wie man so eine Wiese auf Dauer in Schuss halten kann. Wir kamen dann darauf, vielleicht mit Schulen zu kooperieren, damit nicht nur Natur- und Umweltschutz vorangetrieben werden, sondern auch das Wissen von Alt an Jung übergeben werden kann.“ Die Kinder sollten neben dem ökologischen Engagement auch lernen, wo zum Beispiel Obst und Gemüse herkommen oder wie frisch gepresster Apfelsaft schmeckt.

Projekt „Streuobstwiese“

Parallel setzte sich Eva-Maria Dünkel mit verschiedenen Schulen zusammen und suchte nach einer passenden Wiese. „Bei der Mali-Schule war sofort großes Interesse da, der Rektor fragte einige Lehrer und gleich zwei wollten eine AG im Rahmen der Ganztagsbetreuung gründen.“ Ein Grundstück zu finden gestaltete sich dagegen schwieriger. „Eine größere Streuobstwiese zu kaufen, konnten wir uns nicht leisten. In unserem Stiftungsrat saß aber der Geschäftsführer der Bruno-Frey-Stiftung, die aus dem Nachlass ihres Gründers über große Vermögenswerte verfügt.“ Dazu gehörte unter anderem eine Streuobstwiese, die der Bürgerstiftung Biberach unentgeltlich überlassen wurde.

Auf der Grundlage enger Verbindungen und großen Engagements ging es weiter. „Wir mussten zunächst einmal einige alte Bäume fällen, die auf einer solche Wiese nichts zu suchen haben, und danach die

Obstbäume pflanzen, was sehr viel Aufwand ist“, erzählt Eva-Maria Dünkel. „Dafür sind wir eine weitere Kooperation eingegangen: Mit der Matthias-Erzberger-Schule, an der junge Menschen unter anderem eine Ausbildung im Bereich der Landwirtschaft absolvieren können“, ergänzt Gisela Eggensberger. Die Schüler haben die Bäume entfernt und mittlerweile 30 neue Apfel-, Zwetschgen-, Kirsch-, Birn-, Renekloden- und Mirabellenbäume gepflanzt. Zum ersten Ausbildungsjahr gehört zudem dazu, dass die Schüler den Baumschnitt übernehmen. „Sie kommen jedes Jahr kurz nach den Herbstferien und lernen dabei gleichzeitig, wie diese Arbeit geht.“ Daneben gibt es weitere Kooperationen mit dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) oder mit den Pfadfindern aus Biberach, die zum Beispiel in einer 72-Stunden-Aktion einen Teich angelegt haben.

Erst die Arbeit, dann die Slideshow

Hier, direkt neben dem kleinen Gewässer sammeln sich die Kinder heute, um den Tag auf der Streuobstwiese zu beenden. Einige laufen schon zu den Autos – Eva-Maria Dünkel fährt jede Woche mit dem eigenen Bulli einen Teil der Gruppe zurück zur Schule –, andere verabschieden sich noch von Hermann Hamma, der guten Seele des Projekts: Der 79-Jährige kümmert sich ehrenamtlich um die Wiese und übernimmt die schwereren Arbeiten. Max und Daniel allerdings wollen noch nicht zurück, sie haben noch etwas zu tun. Die Elfjährigen fotografieren heute ihre Mitschülerinnen und -schüler mit ihrem Smartphone bei der Arbeit. „Wir dokumentieren das alles, haben wir uns überlegt, und schneiden daraus eine Slideshow, die wir dann überall zeigen können.“ Ein weiterer Baustein, der die Nachhaltigkeit des Projektes nur bestärken kann.

Volksbank Ulm-Biberach eG
Bilanzsumme2,76 Milliarden Euro
Kunden120.000
Mitglieder74.000
Geschäftsstellen30
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter525
Stand 31.12.2018

Bild 1

(Foto: Thorsten Arendt)

Bild 2

Kadeer (vorne) mit weiteren jungen Hobby-Imkern bei der Arbeit. (Foto: Thorsten Arendt)

Bild 3

Die Königin und ihr Bienenvolk im kollektiven Einsatz. (Foto: Thorsten Arendt)

Bild 4

Eva-Maria Dünkel, Gisela Eggensberger und Hermann Hamma (Foto: Thorsten Arendt)

Bild 5

Das Gelände ist nicht nur ein Paradies für die Schulgruppen, sondern auch für so manches seltene Lebewesen. (Foto: Thorsten Arendt)

Bild 6

Hermann Hamma zeigt dem Nachwuchs, wie man den begehrten Rasenmäher mit ruhiger Hand führt. (Foto: Thorsten Arendt)